Musikvideo
Indem bestimmte Realitätsbereiche maßgeblich durch medial vermittelte Sinnangebote etabliert sind, werden solche Produktionen zu einem interessanten Datum für die Sozialwissenschaften. Am Beispiel von Madonnas Video zum Lied American Life lassen sich unterschiedliche Aspekte aufzeigen, die in ihrer Inszenierung zu aktuellen Realitätskonstruktionen beitragen. 

Assoziierte Vorträge:

Jahrestagung der Komission erziehungswissenschaftliche Biographieforschung in der DGfE unter dem Titel Bild und Text vom 22. - 24. 9. 2004
Faszination Fighter. Militär und Uniform als ikonographisches Esperanto in der Pop-Kultur.

Symposium Schönheit der Uniformität im ZKM in Karlsruhe am 14. 10. 2004
Faszination Fighter: Das Musikvideo als uniformierendes Militärevent

Pädagogisches Institut der Johannes Gutenberg Universität Mainz (Fachbereich Sozialwissenschaften, Medien und Sport) am 22. 7. 2005
Popkulturelle (De-)Konstruktion geschlechtsspezifischer Symboliken am Beispiel von Madonnas Musikvideo zu American Life

Kurzfassung 

(der zugrunde liegende Text erschien hier)

Bei unseren Betrachtungen von Uniformität im Forschungsprojekt "Uniform in Bewegung" folgen wir einer ethnographisch orientierten Forschungsauffassung. Das bedeutet im Kern, dass wir nicht primär formulierte Thesen prüfen, sondern gleichzeitig Sensibilität für eine große Breite von möglicherweise interessanten Phänomenen anstreben, diese Betrachtungsweise entwickeln und idealerweise durch den gesamten Forschungsprozess bewahren.
Bei einer so inspirierten Spurensuche sind folglich auch - oder sogar gerade Erscheinungen außerhalb der jeweils untersuchten Schwerpunkte und aus dem Alltag interessant und es wert, ihnen genauer nachzuspüren.
Im Sinne einer solchen reflexiven Untersuchungskonzeption haben wir einmal Musik in den Blick genommen, denn Musik bildet themenübergreifend eine positiv besetzte Erscheinung, die in sozialen Situationen häufig gegenwärtig, oder gar unerlässlich ist. Genauer gesagt haben wir Musik-Videos betrachtet - denn Uniformität manifestiert sich natürlich als visuelles Phänomen.
Und in einer bestimmten Mode existiert in dem Set der eingeführten und dazugehörigen Zeichen meist eine passende Musik, die für den jeweiligen Stil typisch ist, und das spezielle Lebensgefühl transportiert.
Musik bildet damit, genauso wie die eingeführten Symbole einer Moderichtung, einen klar benennbaren, gemeinsamen Nenner der kollektiven Selbst-Stilisierung, ein anerkanntes Distinktions- und Identifikations-Element und einen untereinander geteilten Bezugspunkt, der nicht weiter hinterfragt oder erklärt werden muss. Musik bestimmt also maßgeblich einen Teil unserer Ästhetischen Wertvorstellungen, sie ist damit ein elementares Moment dessen, was wir als schön empfinden.

Ich gehe darauf am Beispiel von Madonna ein. Madonna hat mit ihrem Status als Pop-Ikone bewiesen, dass sie mit ihren Werken stets einen relativ breit geteilten Geschmack trifft, und das seit Jahrzehnten - für den schnellebigen Bereich der PopMusik eine Ewigkeit. Dies macht ihre Werke als eine Art sozialwissenschaftliches Datum im genannten ethnographischen Sinne besonders interessant.
In einer Zeit, in der Krieg sich schleichend wieder als legitime Fortsetzung des politischen Engagements etabliert, hat Madonna konsequenterweise die Militäruniform als Mittel der Inszenierung gewählt - ich spreche vom Video zum Lied "American Life", um das es im folgenden gehen soll (Bilder aus dem Video finden Sie hier).
 
Diese Fassung des Videos lief nur einen Tag, am 31. März letzten Jahres in den europäischen Musiksendern, also zeitnah mit den tatsächlich einsetzenden Kriegshandlungen am Golf. Zuvor gab es selbstverständlich eine aufwändige Pressekampagne mit Bildern, Gerüchten und  Einblicken in das "Making of". Tags darauf zog Madonna das Video wieder zurück und untersagte die weitere öffentliche Aufführung, "aus Respekt vor den kämpfenden Truppen", so ihre knappe Begründung. Sie wolle nicht, dass der Clip die Gefühle von jemand verletzt, der ihn missversteht. Soweit die Kontext-Notiz.
Das Video konfrontiert uns zunächst mit einer ungeheuren Dichte. Die unzähligen visuellen Motive okkupieren dabei den größten Teil der Aufmerksamkeit, sie werden durch die Musik zu einem synästhetischen Erlebnis potenziert, das die BetrachterInnen in einen Bann ziehen möchte. Der Text des Liedes rückt darüber in den Hintergrund. Durch die verwirrende Folge von Bildern und Szenen ist er mit den Videosequenzen kaum unmittelbar in Zusammenhang zu bringen. Es ist schwer, sich auf den Text zu konzentrieren, um davon mehr als den Titel oder den Refrain rekapitulieren zu können, bzw. etwas davon, worum es in dem Lied denn nun insgesamt gehen könnte, verstünde man den Text so wie einen gedruckten, nach seiner Wortbedeutung.
Wir brauchen daher eine Strategie, mit dieser besonderen Art von Material umzugehen, eine Struktur, um es für die weitere Analyse zugänglich zu machen.
Ein erster Schritt, der nahe liegt,  ist die systematische Strukturierung nach enthaltenen Themen, also die Frage, welche unterscheidbaren Inhalte im Clip Identifizierbar sind und voneinander getrennt werden können.
Ich konzentriere mich dabei auf die als dominant identifizierten Elemente, auf die Videobilder. Die Rolle der Musik und des Textes streife ich nur gelegentlich. Auf Feinheiten, wie das Verhältnis einzelner Beats zu den Schnitten im Filmmaterial oder Nuancen von Formulierungen im Text, werde ich hier nicht eingehen.
Mit welcher Handlung, oder besser, mit welchen visuell inszenierten Erzählungen haben wir es hier zu tun?
Das Video beginnt mit einem Blick in den dunklen Saal, in welchen der erleuchtete Laufsteg hineinragt. Er bildet den HauptAustragungsort im Video. Dieser Laufsteg mündet in die Bühne und wird von drei vertikal aufragenden Projektionswänden abgeschlossen.
Auf diesem Triptichon werden verschiedene militärische oder kriegsbezogene Motive simultan abgebildet, also als Bild im Bild projiziert. Und während des Refrains erscheint dort dreifach das Gesicht der Sängerin.
Um den Laufsteg herum lassen sich die Handlungen gruppieren. Hier spielt sich die Modenschau ab, die von einem extravagant gekleideten Publikum goutiert wird.Diese Modenschau bildet den ersten Hauptstrang der Narration. Sie nenne ich im Folgenden die "Laufsteg-Narration".
Wenig später tauchen, zwischen den vielen Schnitten kaum besonders auffällig, plötzlich neue Bilder auf, die der eingeführten Laufsteg-Narration nicht ohne weiteres zuzuordnen sind: Frauen in den engen Kabinen einer Gemeinschaftstoilette, bekleidet nur mit ihrer Unterwäsche - genauer, in FeinrippHerrenunterwäsche.
Diese kurzzeitig eingeblendeten Motive münden bald in die zweite Erzählebene, die sich in eben jenem Wasch- oder Umkleideraum anbahnt, dort, wo sich die Frauen, wild agierend, für ihren alternativen, für den konfrontativen Auftritt zurechtmachen. Auf dem Weg dahin sehen wir das Frauenbataillon dann, angeführt von Madonna, in einer Art Kellergang, halb marschierend, halb tanzend. Gleich darauf können wir sie uns in dem Mini vorstellen, der mit gehisster US-Flagge durch das verwaiste Parkdeck rast. Dieser Kampfwagen durchbricht dann die Kulisse des Laufstegs, also die Mittlere der Projektionswände, auf der Madonna eben noch in ihrer Offiziersuniform überlebensgroß salutiert hat.
Mit diesem Angriff wird der Kontakt dieser zweiten Handlungsebene zur anfangs eingeführten Laufsteg-Narration hergestellt. Erst in diesem Moment wird die Paralellmontage der beiden zunächst voneinander getrennten Narrationen im Video für die ZuschauerInnen ersichtlich, der Zusammenhang von der eingangs eingeführten Laufsteg-Narration, mit der zweiten, der Guerilla-Narration wie ich sie nenne, aufgrund der darin dargestellten, unerwarteten und überfallartigen Usurpation des Laufstegs.
Neben diesen beiden Erzählsträngen, die nach der Invasion nun doch zu einem vereint sind  - wobei von der ersten, der Laufsteg-Narration ja eigentlich nur die Rahmung, also das Publikum  und die Fotografen der Modenschau bleiben - neben diesen existiert eine dritte, weniger klar benennbare Bildebene: Die der immer wieder hineingeschnittenen Bilder von Militärischem Gerät  und von damit vollzogenen Kampfhandlungen, oder einfach nur von andauernd brennenden Flammen und von Explosionen. Die so gestaltete Rahmung findet sich sowohl innerhalb der filmisch erzählten Handlung, nämlich auf den drei Projektionsleinwänden hinter dem Laufsteg, als auch direkt im Video, dort in Form der eingeblendeten Vollbilder, welche die erzählten Handlungen des Clips immer wieder als illustrative Sequenzen kurzzeitig überlagern. Derartige martialische Motive, bilden in ihrer ästhetisierten Form ein gemeinsames Merkmal, das alle Bildebenen aneinander bindet. Neben dem ganz konkreten Kriegsgerät sind hier natürlich auch die Uniform- und Combat-Derivate zu nennen, die als hautecouture zur Schau getragen werden: Gasmaske, Stahlhelm, Kampfstiefel und natürlich das Camouflage-Muster für alle Textilien.
Entlang dieser unterschiedlichen Ebenen lassen sich jeweils korrespondierende InszenierungsStrategien aufzeigen: Im Zusammenhang mit dem Laufsteg, als singende Solistin tritt Madonna in einer schneidigen Admirals-Uniform auf. Sie vertritt damit stilgerecht traditionelle Werte der etablierten Gesellschaft, die hier durch die Highsociety im Publikum verkörpert ist.Abzeichen auf den Oberarmen verweisen auf Geleistetes, die Offiziersmütze verschafft Autorität und Respekt, selbst wenn sie sie leicht schräg auf dem Kopf trägt.
Es wird klar: Ihre Botschaft (wie auch immer diese letztlich lauten mag) duldet keine Kompromisse. Madonna rekurriert hier auf klassische, konservative Werte. Sie eignet sich damit, ohne jedoch ihre Weiblichkeit zu verleugnen, Symbole an, die an sich den mächtigen Männern vorbehalten sind, den uneingeschränkt legitimierten Statthaltern der Macht, den Generälen, die auf oberster Ebene die Fäden ziehen.
Im Video ist Madonna immer dann in dieser hellen Ausgeh-Uniformjacke zu sehen, wenn der Zusammenhang mit der Luxusmode gegeben ist, die zwar untragbar sein mag, die aber Fraglos die derzeit leitende, offizielle Schönheitsdefinitionen repräsentiert, wie sie im Establishment und von den Medien anerkannt wird.
In der Guerilla-Narration, auf der "Underground-Ebene" tritt sie dagegen in einem ganz anderen Styling auf: Als rebellische Guerilla-Anführerin, im tarngemusterten Kampfanzug, auf dem Kopf das Barett. Dieses Che Guevara Zitat, also die gleichzeitige Inkorporation von charismatischer Führerfigur und aktueller jugendkultureller Ikone, erscheint nebenbei bemerkt  außerhalb des Videos als schwarzweiß gezeichnetes Motiv auf dem Cover der CD und war damit auf den öffentlich ausgehängten Werbeplakaten zu sehen.
Hier beschränkt sich Madonna nicht auf die souveräne Repräsentation von Werten, sondern wird in der Truppe als wild  entschlossene Vortänzerin und Rapperin körperlich aktiv. Dieser kurze Exkurs in die Welt des HipHop markiert eine weitere Einnahme von männlich besetzten Domänen, jedoch auf einer ganz anderen Ebene, als zuvor in der Welt der Generäle, nämlich in einem Jugendkulturell orientierten Bereich.
In diesem Teil bedient sie also den Geschmack einer anderen Zielgruppe. Militärbekleidung ist ja längst nicht mehr nur der Armee, revolutionären Sappeuren, Anglern oder Outdoorfreunden vorbehalten oder wird lediglich zur Pflege einer Landser-Romantik getragen. Seit vielen Jahren schon kleiden Tarnhosen oder Parkas populäre MusikerInnen von der Punk-Band bis zur Boygroup. Als Multiplikatoren haben sie damit den Weg in die Mode geebnet: Diese alternative Modeform, oder auch nur die Erweiterung des Accessoire-Repertoires einer Mode, wird Szenenübergreifend gerne angenommen.
Dabei werden die praktischen und haltbaren Stücke aus dem Army-Surplus entweder einfach so wie sie sind getragen oder aber kreativ modifiziert. Ein Beispiel wäre der Militärparka mit dem Eingekreisten Anarchie-A, das respektlos über die aufgenähte Deutschlandfahne gemalt wird oder eine in Signalfarbe gefärbte Tarnhose, die die im Kleidungsstück angelegte Funktion ad absurdum führt. Die Militaria bieten also Material, um sich von der als langweilig und vereinheitlichend angesehenen Massenmode abzuheben und um daraus einen eigenen Stil kreieren.
Dies nutzen längst auch die global agierenden Kaufhausketten und lassen solche an der Militärbekleidung orientierten Stücke massenhaft anfertigen, um sie in den besten Lagen der Innenstädte anzubieten. Besonders populär sind neben dem Camouflage-Muster in beliebigen Farbkombinationen derzeit die Cargo-Hosen, also die Freizeithosen mit den seitlich aufgenähten Taschen. Aber auch Bezeichnungen wie Tank-Top für Ärmellose T-Shirts zeugen vom Einfluss des Militärischen.
Ähnlich wie hier in der Alltagsmode motiviert, nämlich als individualisierende InszenierungsStrategie, werden die Uniformen auch im Video genutzt - und das gilt nicht nur in der extremen Ausprägung auf dem Laufsteg. Die Uniform wird im Clip nie als die klassische, als gleichförmige, als gleichmachende Einheitskleidung getragen. Sie ist hier kein funktionales Mittel, um das Individuum in einer aufgestellten Truppe verschwinden und als einzelne Person unsichtbar werden zu lassen. Uniform bedingt folglich definitiv keine einförmige Eintönigkeit, sieht man einmal von der Dominanz der dunkelgrünen Farbe ab. Lediglich ein nur sekundenlang gezeigter SchwarzweißfilmAusschnitt auf den Projektionsleinwänden im Hintergrund bildet eine Ausnahme: Dort marschiert eine Kompanie auf dem Rollfeld und zeigt die autoritäre, entindividualisierende Verwendung der Uniform.
Neben diesen beiden Ebenen - also die der klassischen, konservativen Schönheit in der Laufsteg-Narration, repräsentiert durch die schneidige Admirals-Uniform, welche im Wilhelminischen Deutschland das Leitbild männlicher Schönheit lieferte, und der Ebene der wilden Schönheit, dargestellt in der Guerilla-Narration, im ungestümen, tänzerischen Aktivismus, der offenen Rebellion  gegen das Establishment  -  daneben gab es nun noch die verbindende Ebene der Militärmotive.
Wie ist diese zu verstehen? Wie fügt sie sich in dieses Ensemble?
Sie lässt sich am ehesten unter so etwas wie: "Faszination der Technik" fassen. Sie durchzieht das Video insgesamt und soll wahrscheinlich auch jene ZuschauerInnen ansprechen, die keiner der von den unterschiedlichen Narrationen adressierten Rezipientengruppen zuzuordnen sind.
In den immer wieder eingeblendeten Bildern, ist es stets die übermächtige, leistungsfähige Kriegs-Technik, die ins Bild aufgenommen wird, Maschinen, die scheinbar alles machbar machen, die keinen Widerstand dulden und alles Widerstehende restlos auslöschen.
Dinge die von der Zerstörung betroffen sind, oder gar Personen, die von den Geschossen getroffen werden, sehen wir in den Videobildern nicht.
In Opposition zu der normalerweise kalten, unmenschlichen Technik und den KriegsSchauplätzen, stehen musikalisch der eher sanfte Gesang von Madonna und die ruhige harmonische Melodie des Refrains. Anders als in den Bildern schwingt darin keine Aggression mit. Begleitend werden im Refrain auch die Filmschnitte etwas langsamer, sodass die Explosionen (die in Filmen ja normalerweise meist das infernalische Ende einer langen Eskalation von Gewalt markieren), sodass die Flammen hier wie ein romantisches Feuerwerk erscheinen.
Diese befremdliche Ästhetik lässt sich vielleicht am ehesten mit den von Filippo Tommaso Marinetti begreifen, die er in seinem futuristischen Manifest von 1936 formuliert hat. Dort schreibt er:
"Der Krieg ist schön, weil er dank der Gasmasken, der schreckenerregenden Megaphone, der Flammenwerfer und der kleinen Tanks die Herrschaft des Menschen über die unterjochte Maschine begründet.(...) Der Krieg ist schön, weil er das Gewehrfeuer und die Kannonaden zu einer Symphonie bereichert. Der Krieg ist schön, weil er neue Architekturen, wie die der großen Tanks, der geometrischen Fliegergeschwader, der Rauchspiralen aus brennenden Dörfern und vieles andere schafft."
Gasmaske und Megaphon in diesem etwas gekürzten Zitat erinnern an die Models auf dem Laufsteg, an jenen klassischen Ort, an dem die neuste und teuerste Mode, kurz das Erstrebenswerte zur Schau getragen wird. Die Kriegs-Utensilien finden sich im Video an dem Ort, wo bestimmt wird welcher Art die aktuell angesagte Schönheit ist.
Im Sinne dieses Zitats gelingt die Verbindung von den zunächst irritierend erscheinenden, ins Video eingeblendeten oder der auf die Kulisse projizierten Bilder. Die Bilder von Düsenjägern in symmetrischer Formation, von unaufhaltsam vorrückenden Panzern und feuernden Kanonen, von startenden Raketen oder explodierenden Bomben. Damit fügen sich die an sich schockierenden Aufnahmen nun als harmonische Beigabe in das Werk.
Damit allerdings der Rausch der Macht, dargestellt in der ekstatischen Destruktion und den monströsen Kampfmaschinen in den begleitenden Bildern, im Video nicht überhand nimmt, dafür sorgen die sporadisch auftauchenden Kinder oder die eingeblendeten Personen mit ihren Symbolen marginalisierter Ethnien, die an die Moral und an die Menschlichkeit gemahnen.
Abschließend noch eine Bemerkung zum Text des Liedes: Wie verhält sich der Text zur visuellen Ebene?
Hier fällt auf - ohne ins Detail zu gehen - dass der Text zunächst einmal nichts mit Krieg und mit Kampf zu tun hat.
Mögliche Bezüge muss man erst suchen, sie müssen aktiv konstruiert und hergestellt werden - vielleicht ist es das American Life als nimmer endender, permanent tobender Kampf? Etwa der Kampf gegen drohendes Übergewicht wie er in der Zeile "should I loose some Weight?" geäußert wird und auf der Bildebene seine Entsprechung in den kräftigen Guerilla-Kämpferinnen findet.
Die Disjunktion von Videobild und Gesangslyrik wird also vor allem dadurch erreicht, dass die Bilder zeitlich kaum gleichlaufend mit dem Text zu deuten sind. Denkbare Aussagen der Textsequenzen, die sich auf gezeigte Bilder beziehen könnten, sind an irgendeiner, besser: an jeder Stelle des Liedes zu suchen. Sie sind kaum in synchroner Entsprechung mit den jeweils dazu gezeigten Videosequenzen interpretierbar. 
Madonnas Videoclip folgt damit auch in diesem Punkt seiner grundsätzlichen, durchgängig eingehaltenen Strategie, nämlich der, sich nirgendwo, in keiner klar benennbaren Position festzulegen. Ob der Clip den Krieg mit seinen Uniformen und Dominanz-Ansprüchen verherrlicht, oder die tendenzielle Verherrlichung des Krieges anprangert, was durch selektiv gewählte und medial verbreitete Bilder zum Alltag gehört, das ist dem Material nicht eindeutig zu entnehmen.
Wie die sinngemäße, übergreifende Aussage bleibt aber auch die der Video-Erzählung offen: Es ist nicht herauszufinden, ob die Modenschau tatsächlich durch verstoßene, abtrünnige Rebellinnen gesprengt wird, oder ob dieser Auftritt nur ein inszenierter, burlesker Gestus gegen das Establishment und die Presse ist, also einfach ein weiterer eingeplanter Teil der aufwändigen, bombastischen Modenschau.
Wie diese Szene kann auch jede andere denkbar erscheinende oder provokante Aussage des Videos wieder negiert werden. Ein entsprechender, relativierender Beleg findet sich immer in den zahlreichen Bildern des Clips. 
Madonna sagt es selbst: "I just realize that nothing is what it seems".
Diese Tatsache ist selbstverständlich auch der kommerziellen Einbettung der Musik  geschuldet, sie ergibt sich aus dem gewählten Material - die Provokation darf nur soweit gehen, dass der Clip keinesfalls potenzielle Käufer der Platte verprellt.
Doch diese inhaltliche Offenheit entwertet den Clip in seiner Stellung Sozialwissenschaftliches Datum nicht. Das Musikvideo bleibt sehr ergiebig, da es wie eingangs gesagt im Forschungsprozess nicht nur darauf ankommt, eindeutige Aussagen zu formulieren, sondern es elementar darum geht, alternative Deutungen zu den aufgestellten Thesen zu identifizieren und diese in die Reflexion einzubeziehen. Musikvideos bilden somit eine viel versprechende Projektionsfläche, die als Kristallisationspunkt bereichernd und erkenntnisleitend eingesetzt werden kann.
Die Uniform erweist sich dabei in diesem Videoclip als Joker - sie ist offensichtlich ganz unabhängig vom inszenierten Thema universell passend, sie ist immer angemessen, immer schön.

Letztes Update ( Saturday, 17 December 2005 )